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Netzwerk Nachbarschaftshilfe Schweiz

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Kommentare

Kommentar von Ruedi Winkler |

Freiwillige für Gesundheits-und Sozialbereich gesucht

Das Migros Kulturprozent und die AGE Stiftung haben ein Initiative lanciert um Freiwillige zu finden, die Organisationen und Personen unterstützen, die professionell im Sozial- und Gesundheitsbereich arbeiten.
Angesprochen sind Personen, die selbst als Freiwillige mitwirken möchten und Organisationen, die solche Freiwillige vermitteln können. Wir vom Netzwerk sind also auch angesprochen. Bitte nehmt mit dem SUSUP-Team Kontakt auf. Unter www.susup.ch findet ihr alle Informationen.
Dort findet ihr ein Kontaktformular und die Mailadresse.
Herzlichen Dank
Ruedi

Kommentar von Ruedi Winkler |

Leserbrief zum Artikel in der NZZ vom 4.11.20 unter dem Titel: Nur ja nicht ins Altersheim – aber wer springt in die Bresche?

Mir scheinen bei dieser Diskussion zwei Punkte wichtig. Erstens sollten wir bei der Frage «Altersheim oder nicht» weder «verteufeln» noch schönreden. Der Eintritt in ein Altersheim ist eine gravierende Zäsur für fast alle Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger eigenständig lebten. Das liegt auf keinen Fall daran, dass sich die Angestellten in den meisten Altersheimen nicht riesig Mühe geben würden. Sondern das liegt in der Natur der Sache. Selbstständigkeit und selbst bestimmen können, was man tut – oder mindestens dies so zu empfinden – ist eines der wertvollen Güter der Menschen. Mit der Verschiebung von der eigenen Wohnung in eine Institution, die aufgrund ihrer Grösse ganz einfach Regeln braucht, die den Freiraum einschränken, geht ein wesentlicher Teil der Eigenständigkeit verloren. Das festzuhalten ist kein Angriff auf die Altersheime, das ist eine Tatsache. Schönreden ändert daran nichts.
Der zweite Punkt betrifft die Betreuung. Betreuung muss eingebettet sein in ein Umfeld und in eine Gesellschaft, in der das sich um einander kümmern selbstverständlich ist. Gerald Hüther sagt das so: „(…) worauf es im Leben, im Zusammenleben und bei der Gestaltung der gemeinsamen Lebenswelt wirklich ankommt: auf Vertrauen, auf wechselseitige Anerkennung und Wertschätzung, auf das Gefühl und das Wissen, aufeinander angewiesen, voneinander abhängig und füreinander verantwortlich zu sein“. Hüther ist ein bekannter Hirnforscher.
Ein Verhalten im Sinne von Hüther heisst konkret in unserer Lebenswelt unsere Beziehungen so zu pflegen und zu gestalten, dass die Betreuung in unserem Alltag Teil unseres Lebens ist. Ob wir das als Verwandte, Freunde, Bekannte, Nachbarn oder was auch immer tun, ob wir das organisiert als Freiwillige, oder unorganisiert als Zeitgenossinnen und -genossen in unserem Lebensumfeld tun, ist sekundär. Entscheidend ist unsere Grundhaltung. Diese Grundhaltung wird von vielen einzelnen Menschen und von Organisationen wie z.B. der Nachbarschaftshilfe usw., gelebt. Die Idee der Caring Communities vertieft das. Das ist das Fundament, auf dem die Betreuung in der Zukunft den Stellenwert bekommen kann, der ihr zukommt. Der Staat kann das unterstützen, aber die Grundlage müssen die Menschen liefern, sonst wird mit viel Geld und «schlagkräftigen Konzepten» Leerlauf produziert.

Ruedi Winkler

Kommentar von Ruedi Winkler |

Caring Communities – prägend für die Zukunft?
Ruedi Winkler
In ihrem Buch «Die verkannten Grundlagen der Oekonomie» vertritt Riane Eisler, eine amerikanischen Soziologin und Kulturhistorikerin, die Meinung, dass wir „an einem Kipppunkt, einem Wendepunkt der Geschichte“ angekommen seien. Sie stellt im heutigen System einen «grundlegenden Systemfehler» fest, und sieht das Problem im «dominanzgeprägten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem». Nicht weniger dramatisch beurteilt der Professor für Finanzen an der Universität Zürich, Marc Chesney, die Situation im Bereich der weltweiten Finanzwirtschaft. Er sagt zu diesem Sektor: «Es ist, wie wenn man mit dem Auto mit zu hoher Geschwindigkeit im Nebel fährt. Der Un¬fall wird irgendwann kommen.» Welche Folgen das hätte, kann man sich bei den Dimensionen dieses Sektors ausmalen.

Gutes Leben und Fürsorge
Die Forderungen der beiden, wie das geändert werden sollte, sind klar. Der Oekonom Chesney plädiert für mehr Menschlich¬keit, Gerechtigkeit und Verantwortung. Das sind zentrale Werte für Marc Chesney. Das habe nichts mit linker oder rechter politischer Anschauung zu tun, sondern sollte selbstverständlich sein: «Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, dazu beizutragen, dass die Menschen ein gutes Leben führen können.» Und er fordert: «Es braucht neue Konzepte und Paradigmen in der Ökonomie, damit diese im Dienst der Gesellschaft steht».
Eisler schreibt zum heutigen System, es sei «geprägt von vier Elementen: Autoritäre, auf Kontrolle gestützte Hierarchien, hohes Mass an Missbrauch und Gewalt, Unterordnung der Frauen unter die Männer und der Ueberzeugung, dass diese Dominanz als unausweichlich, ja sogar als moralisch geboten» gerechtfertigt sei. Und sie kommt zum Schluss, dass die «zunehmenden Probleme von Individuen, Gesellschaft und der natürlichen Umwelt, also unserer Mitwelt, eine gemeinsame Ursache haben: Einen Mangel an Fürsorge bzw. Care.» Fürsorge bzw. Care versteht sie in einem umfassenden Sinne, von «einem Gefühl oder einer Emotion bis hin zu einer Tätigkeit oder einer ganzen Reihe von Tätigkeiten».
Den dramatischen Diagnosen der Wissenschaftlerin und des Wissenschaftlers (Eisler und Chesney sind damit jedoch nicht allein) entspricht das zunehmende Unbehagen vieler «gewöhnlicher» Menschen, die der Meinung sind, dass es so nicht weitergehen kann. Das aber findet im Handeln weder in der Wirtschaft noch in der Politik eine Entsprechung. Aktuell zeigt z.B. die Klimakonferenz in Glasgow, wie wortreich die Hilflosigkeit und der mangelnde Wille, das Nötige zu tun, überdeckt wird.

Und was hat das jetzt mit den Caring Communities zu tun?
Auf der Website des Netzwerks Caring Communities www.caring-commumties.ch sind diese so umschrieben: «Eine Gemeinschaft, in der Menschen füreinander sorgen und sich gegenseitig unterstützen. Gemeinsam wird Verantwortung für soziale Aufgaben wahrgenommen, wobei Vielfalt, Offenheit und Partizipation beachtet und gestaltet werden.»
Das Netzwerk wurde 2018 gegründet, zählt heute gegen 300 Mitglieder und ist in regem Kontakt mit den Caring Communities- Organisationen in Deutschland und Oesterreich. Der Zustrom ist ungebrochen, die Vielfalt der Mitglieder auch. Da sind Organisationen verschiedenster Art dabei, von der Nachbarschaftshilfe über die Lokale Agenda 21, das Lokalradio im Tessin bis hin zur Bau- und Wohngenossenschaft.
Das was die Menschen, die in diesen Caring Communities-Organisationen mitarbeiten verbindet, ist die Bereitschaft, in ihrem Lebensumfeld etwas zu ändern, eine Lücke zu füllen, einen Mangel oder Missstand zu beheben, andere Menschen unterstützen usw. Diese Menschen sind selbstverständlich sehr unterschiedlich, gemeinsam ist ihnen, dass sie sich für eine Sache, die ihnen wichtig erscheint im Sinne der Selbsthilfe handelnd engagieren. Und sie handeln nicht nur in ihrem, meist lokal oder regional begrenzten Bereich, sondern sie schliessen sich in einem nationalen Netzwerk mit übergeordneten Werten und Zielen an. Getragen werden die Caring Communities vor allem von Menschen aus dem Mittelstand, meistens gut ausgebildet und der Anteil der Frauen ist hoch. D.h. die hier engagierten Menschen haben Ressourcen und zusammen mit dem Willen, etwas konkretes zu Tun, können sie etwas bewegen. Der hohe Anteil der Frauen ist die Chance, dass diese Organisationen auch von ihnen geprägt werden können.

Modell der Zukunft?
Schauen wir die Forderungen von Eisler und Chesney an ein zukünftiges System an, dann sind wir sehr nahe bei den Caring Communities (und natürlich auch bei der care economy). Die von Eisler postulierte Fürsorge ist sogar bei den meisten Caring Communities der Hauptzweck und Ansporn zum Handeln.
Ist da etwa etwas in den ersten Phasen des Entstehens, das in Zukunft deutlich an Bedeutung gewinnen könnte (z.B. dann, wenn die Zukunftslosigkeit des heutigen Systems nicht mehr verdrängt werden kann)? Das Zukunftsinstitut Frankfurt am Main schreibt im Zusammenhang mit Megatrends, dass die Wirkung einer Bewegung, die auf wesentlich anderen Werten und Grundsätzen beruhe, nicht zu unterschätzen sei, weil sie nicht isoliert wirken, sondern sich gegenseitig beeinflussen und sich gegenseitig verstärken. Natürlich sind Caring Communities kein Megatrend, aber die beschriebene Art des Wirkens trifft genau auf sie zu. Caring Communities können beispielhaft dafür sein, dass es sich in Organisationen mit Partnerschaft statt Hierarchie viel angenehmer und fruchtbarer zusammenarbeiten lässt und Fürsorge als Kernelement des Handelns für Mensch und Umwelt ungleich befriedigender ist als das Drehen im Hamsterrad einer hoffnungslos überladenen geldgetriebenen Lebensweise. Das grosse Interesse und die Sympathie, die der Idee der Caring Communities entgegenkommt, obwohl sie noch ganz in den Anfängen steckt, weisen darauf hin, dass sich die Menschen davon angesprochen fühlen. Zu was und wie sie sich entwickelt, wird die Zeit zeigen. Dass die Werte, auf denen sie beruht, für die Zukunft entscheidend sind, steht jedoch für mich ausser Zweifel.

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