Seniorin und Flüchtling bilden WG
Freitag,
Das Luzerner Projekt Wohntandem bringt Geflüchtete mit Einheimischen zusammen – was nicht einfach ist.
LuzernerZeitung 20.2.2024 (ZG Luzern)
von Stefan Dähler
«Es wird eine Herausforderung, aber das kommt schon gut», sagt Susanne Egloff. Die 72-Jährige hat sich entschieden, beim Projekt Wohntandem mitzumachen und mit dem iranischen Geflüchteten Hossein Kavose, 31, eine WG zu bilden. Er ist am 8. Februar in ihre Eigentumswohnung nach Kriens gezügelt. «Ich bin schon lange getrennt von meiner Familie und freue mich, mit Susanne so etwas wie eine zweite Mutter zu erhalten», sagt Kavose, der vor rund 3,5 Jahren in die Schweiz gekommen ist und zuvor in einer vom Kanton Luzern zugewiesenen Wohnung gelebt hat.
Lanciert wurde das Projekt Wohntandem mit einem Infoanlass im April 2023. Hinter diesem stehen die Genossenschaft Zeitgut Luzern und das Begegnungszentrum HelloWelcome Luzern. Die Idee ist, dass ältere Menschen Geflüchtete bei sich wohnen lassen und ihnen so die Integration erleichtern, Letztere helfen dafür den Bewohnerinnen und Bewohnern bei der Bewältigung des Alltags.
Sie will ihren grossen Wohnraum teilen
Nun kommt also die erste WG zustande. Was hat Susanne Egloff und Hossein Kavose motiviert, mitzumachen? «Ich bewohne alleine 100 Quadratmeter, das entspricht nicht meiner Vorstellung von Nachhaltigkeit», sagt Egloff. Sie engagiert sich bereits als Deutschlehrerin für Migrierte. «Die Sprache ist zentral für die Integration.» Ausserdem sei ihr wichtig, auch im Alter Neues zu wagen. Sie lebe seit Jahren alleine und wolle lernen, wie es ist, die Wohnung mit jemandem zu teilen. «Ausserdem bin ich eine ganz schlechte Köchin. Hossein arbeitet als Hilfskoch und kann mir sicher etwas beibringen», sagt sie lächelnd.
Hossein Kavose hat durch HelloWelcome vom Projekt erfahren. Er will von Susanne neben der Sprache mehr über die Schweizer Kultur und die Gepflogenheiten lernen. «Ich will ihr ausserdem im Alltag helfen und auch in der Freizeit zusammen etwas unternehmen, etwa gemeinsame Ausflüge machen.»
Frauen bevorzugen weibliche Flüchtlinge
Seit der Lancierung des Projekts ist einige Zeit vergangen. «Es ist nicht einfach, Wohntandems zu bilden», sagt Zeitgut-Geschäftsleiter Laslo Niffeler. Es hätten sich vor allem Frauen bereit erklärt, jemanden aufzunehmen. Bei den Geflüchteten, die am Projekt interessiert sind, handle es sich mehrheitlich um Männer, da Frauen meistens nicht alleine, sondern mit der Familie flüchteten. «Die Wohnraum anbietenden Frauen wollen meist nur geflüchtete Frauen in ihre Wohnung aufnehmen, was wir respektieren», sagt Niffeler.
Hinzu komme, dass Geflüchtete häufig Beschäftigun- gen mit unregelmässigen Arbeitszeiten nachgehen. Wichtig sei daher, dass der Wohnort nicht zu weit von der Stadt Luzern entfernt ist. «Viele Ge- flüchtete arbeiten in der Stadt, ausserdem befinden sich dort die meisten sozialen Anlaufstellen», sagt Sandra Gisler, Projektverantwortliche von Hello- Welcome. Ausserdem seien der ÖV und insbesondere ein Auto für viele zu teuer.
Auch Susanne Egloff hätte zuerst eine Frau als Mitbewoh- nerin bevorzugt. In drei Fällen sei es zu einem Kontakt gekommen, es habe dann aber aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt. «Also habe ich entschieden, mich zu öffnen.»
Vor dem Zusammenzug werden im Gespräch unter der Leitung einer Fachperson Vorstellungen in Bezug auf das Zusammenleben sorgfältig abgeklärt, sagt Gisler. Susanne Egloff und Hossein Kavose hätten sich mehrmals getroffen. «Es ist dabei wichtig, ehrlich zu sein und zu sagen, wenn man spezielle Angewohnheiten hat», sagt Kavose. «Dann kann man besprechen, wie man damit umgehen soll, statt dass es später Konflikte gibt.» Er etwa sei Raucher, so etwas müsse die Wohnpartnerin wissen. Auch nach dem Zusammenzug können sich die beiden bei Fragen und Problemen an HelloWelcome oder Zeitgut wenden. «Wir wollen eine Begleitung anbieten und damit vermeiden, dass es zu Überforderungen kommt», sagt Gisler.
Um weitere Wohntandems bilden zu können, werde das Projekt nun ausgeweitet, sagt Niffeler. Bisher sei es an Seniorinnen und Senioren gerichtet gewesen. Nun wolle man auch Jüngere ansprechen, die sich beispielsweise vorstellen können, eine geflüchtete Person in ihrer WG aufzunehmen. «Wir haben zusätzliche Organisationen wie Hochschulen, Studierendenorganisationen oder kulturelle Treffpunkte wie das Neubad angeschrieben.» Auch für Familien, die noch Platz im Haus oder in der Wohnung haben, sei man offen.
Wer Geflüchtete aufnehmen will, muss ihnen ein eigenes Zimmer anbieten können. Weiter müssen die Interessenten psychisch und physisch in der Lage sein, das Zusammenleben zu organisieren. Nach dem Zusammenzug gibt es eine Probezeit. Geregelt wird das Wohnverhältnis mit einem gewöhnlichen Mietoder Untermietvertrag.